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 Archiv Psychotanten
Norbert(2) ( gelöscht )
Beiträge:

08.02.2003 10:56
RE: Vom Glücklichsein Thread geschlossen

Hallo Leute,

Diesen (recht langen) Beitrag habe ich schon einmal in einem anderen Forum veröffentlicht, was aber dann leider aufgrund von einsetzender Primitivität in Bedeutungslosigkeit versunken ist. Nun habe ich dieses Forum gefunden und will mit diesem Beitrag einen „Einstieg“ machen. Ich hoffe, er gefällt Euch, und würde mich freuen, wenn die/der eine oder andere noch eigene Gedanken dazu beisteuern würde, damit ich diese Gedanken vielleicht noch erweitern kann.

Grüße an alle
Norbert


Vom Glücklichsein

„Für mich soll‘s rote Rosen regnen.“ Für dieses Lied habe ich Hildegard Knef geliebt. Dann lese ich 25Jahre später in einem Buch von Doris Dörrie: Leben ist Leiden. Na prima "Wie kommst du darauf, daß das Leben dich glücklich zu machen hat?“, sagen zwei meiner Kolleginnen und schütteln den Kopf. „Dafür bist du immer noch selbst zuständig!“
Mir scheint, vom Rosenregen träumen viele, fest davon überzeugt, daß das Leben ihnen mehr schuldet als das Übliche. Mehr als Gesundheit, Lebendigkeit, einen Partner, Kinder und zwei bis drei gute Freunde. Sonst sähe man nicht so viele lange Gesichter. Männer und Frauen, die weder krank, arm, arbeitslos noch einsam sind aber frustriert und voller Anklagen.
„Ich lache gar nicht mehr.“ sagen sie. Mir ist alles zu viel. Ständig zerrt einer an mir herum und will etwas. So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt!“
„War das alles?", fragen erfolgreiche Männer nach 20 Jahren im Beruf. Und die Frauen? Sie sind schlecht zu sprechen auf ihren Mann, den Ignoranten, der abends schweigend das Sofa belagert. Auf den Chef, den Chauvi, der nicht kapiert, daß man Kinder pünktlich abholen muß. Auch die Kinder, die Unersättlichen, die noch bevor man die Einkaufstüten ausgeräumt hat schon wieder etwas Neues wollen. Und vor allem auf sich selbst: in nichts wirklich gut! Mitten in einem Leben ohne Anerkennung und Abwechslung. Eine miese Bilanz: der letzte Kinobesuch vor elf Wochen. Nur noch Muttertier. Fünf Pfund zu viel. Kein Aktiendepot. Keinen Verehrer.“ Ich bin zu kurz gekommen. Das Leben ist mir etwas schuldig geblieben.“ So lautet die Anklage an ein Leben, das bunter und fröhlicher sein könnte. Diese Klage ist kindisch und anmaßend. Und wunder- voll! Sie gibt Tagen, Wochen, Monaten und Jahren einen Inhalt. Sie schafft eine Verbundenheit zu anderen, die ebenfalls meinen, zu kurz gekommen zu sein. Und gemeinsam ist das Klagen noch schöner. Das tröstet und beruhigt, denn auch anderen geht es so.
„Mama hat mich nicht satt gemacht! Sie steht in meiner Schuld. Rote Rosen will ich!“
„Dieses Unglücklichsein ist kein Unglück,“ sagt Bert Hellinger. einer der bekanntesten deutschen Therapeuten. Fordernd und anklagend zu sein, ist bequem. Viel bequemer, als zu nehmen, was ist, und selbst etwas daraus zu machen.
Was sagt er da? Es soll bequem sein, sich überfordert zu fühlen und sich an nichts mehr freuen zu können?
„Ja. Viel bequemer als die Größe, die einem abverlangt werden könnte, wenn man sein Leben selbst in die Hand nimmt.“ Klagen lähmt das Leben.

In vielen Jahrzehnten therapeutischer Arbeit hat Heilinger die Erfahrung gemacht, daß sich selten die über ihr Leben beklagen, die in ihrer Kindheit zu kurz gekommen sind. Sondern die, die viel von ihren Eltern bekommen haben. Solange sie weiter fordern, bleiben sie in Abhängigkeit und unzufrieden. Ganz anders, wenn sie sich bedanken: „Es ist viel, und es reicht. Den Rest mache ich selbst. Und lasse euch zufrieden.“


„Sich zu bedanken hat Wirkung in der Seele,“ sagt Hellinger. „Wer nicht nimmt, was ist, nimmt sich selbst nicht. Und kann niemals zufrieden sein.“
Eine Frau, die von ihrem Mann erwartet, daß der sie glücklich macht (oder alternativ von einem Haus. einer Beförderung oder mehr Geld), gleicht nach Heilinger einem Kind, das nach seiner Mutter schreit.
Fordern kann sogar krank machen. „Wer fordert und anklagt. dem wird eng ums Herz,“ sagt die Münchner Kardiologin, Psychotherapeutin und frühere Hellinger-Schülerin Dr. Ilse Kutschera. „Bei einigen Herzinfarkt- Patienten beginnt die Heilung erst, wenn sie den fordernden Appell an andere aufgeben."
Lektion Eins: Rosen lassen sich nicht einklagen. Niemand schuldet uns einen warmen Regen.
Aber nicht nur die Annahme, andere seien für Glücksmomente im Leben zuständig. macht unzufrieden. Mindestens genauso weit verbreitet ist die Vorstellung, das Glück warte stets dort, wo man selbst gerade nicht ist. Unter der Sonne Siziliens (wenn einem kalt ist) und auf windigen Bergwipfeln (wenn man vor Hitze fast vergeht), im Eigenheim (wenn man Mieter ist) und in der Mietwohnung (wenn die Hypothek zu hoch ist), am Arbeitsplatz (wenn man Hausfrau ist) und zu Hause (wenn man arbeiten muß), im Fünf- Sterne- Restaurant (wenn man an der Frittenbude steht) und an der Frittenbude (wenn man mit einem Bärenhunger vor einem kärglich- leichten Haute- Cuisine- Mahl hockt)
Glück an äußere Umstände zu knüpfen, ist eine beliebte Übung. Deshalb finden die schönen Momente auch fast immer in der Zukunft statt. Wenn die Kinder selbstständiger sind, wenn man eine Abteilung leitet, wenn man dünner ist, wenn man aus dem Erwerbsleben ausscheidet.
Diejenigen, deren Glücksbedingungen sich erfüllen, stellen nicht selten mit Grausen fest, daß sie einem Irrtum aufgesessen sind und jede Menge Zeit vertan haben. Bert Hellinger dazu: „Das Glück ruht in der Seele, bei jedem. Wer es außen sucht, wird immer weiter suchen.“
Glücklichsein kann man nur „hier und jetzt“. Es hat keinen Sinn zu warten: wenn ich mal...!!! Lebenszeit ist unwiederbringlich und daher für unser an Zeit und Raum gebundenes Leben viel zu kostbar, um mit unnützen Warten vergeudet zu werden. Es muß ja nicht gleich das unermeßliche Glück sein; jeder Moment hat zumindest die potentielle Möglichkeit in sich, ein glücklicher Moment zu sein. Oftmals ist dazu nur eine ein wenig positivere Betrachtungsweise der vorhandenen Sachlage notwendig.
Was hindert daran, JETZT glücklich zu sein? Etwa weil andere meinen, daß man in der jetzigen Situation, mit der jetzigen Arbeit, mit der derzeitigen Familiensituation etc.... nicht glücklich sein könnte? („was nicht sein kann, das nicht sein darf“) Aber eigenes Glücklichsein kann man nur für sich selbst fühlen, nicht andere für einen. Man muß nicht die (vielleicht zu hohen) Erwartungskriterien der andern übernehmen. Kleines Glück ist eben auch Glück, - großes Glück ist halt nur schöner.

Lektion Zwei: Glück ist nicht nur, wenn's Rosen regnet. Im Nieselregen zu stehen, kann auch glücklich machen.
Daß Menschen sich von anderen Menschen oder Dingen glückliche Momente erhoffen, ist nichts Neues. Eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie zeigt, daß der Prozentsatz der Glücklichen seit den fünfziger Jahren nahezu unverändert ist, knapp 30 Prozent der Deutschen geben an, glücklich zu sein.
Befragungen zeigen auch, wie wenig Glück an Wohlstand und gute äußere Bedingungen geknüpft ist: Die meisten glücklichen Menschen finden sich im armen Bangladesh. Deutschland belegt als Land der Glücklichen Platz 52.
Daß wir dem Leben häufig so unversöhnlich gegenüberstehen, hat aber nicht nur mit verqueren Erwartungen zu tun: „In Zeiten, in denen es uns gut geht, nehmen die Neurosen zu,“ sagt Dr. Bärbel Wardetzki, Diplom-Psychologin aus München. „Wenn das Überleben gesichert ist, beginnen Menschen, auf ihre Befindlichkeiten zu achten. Diese Selbstbeobachtung macht anfällig für Unzufriedenheit.“
Wenn einem dann noch vorgegaukelt wird, alles sei möglich, wird das Leben oft wirklich leidvoll. Wo jeder rein theoretisch alles schaffen und werden kann, wird jedes nicht erreichte Ziel zum persönlichen Versagen. Kein Mensch kann sich heute noch damit herausreden, in der falschen Wiege geboren zu sein.
"Anything goes!" das klingt gut, macht aber unzufrieden, weil das oft genug eine Illusion ist. Frauen, die endlich unter mehreren Lebensentwürfen wählen könnten, wählen nicht, sondern nehmen pflichtschuldigst alle Möglichkeiten in ihren Lebensplan auf: Mutter, tolle Geliebte, Karrierefrau, Hausfrau und Köchin, Frau an seiner Seite. Doch Überforderungen machen immer unzufrieden, auch wenn sie uns als kleine Übungen verkauft werden.

LEKTION DREI: Es ist nicht auszuschließen, daß es niemals rote Rosen vom Himmel regnen wird. Weil dort keine wachsen.
Hohe Erwartungen an das Leben erklären vielleicht auch ein wenig, warum schon kleine Rückschläge und Versagungen als persönliche Kränkung empfunden werden. Warum es so schwer auszuhalten ist, daß ein Vorhaben nur mühsam gelingt, von Enttäuschungen begleitet ist oder keinen Spaß macht.
Manche Menschen wirken, als lebten sie in einem Zustand der Dauerkränkung. „Einen Aufschub von Bedürfnissen akzeptieren wir immer weniger,“ sagt Dr. Bärbel Wardetzki. „Wir wollen alles, mühelos und sofort. Auch das ist eine kindliche Haltung, die verkennt, daß bestandene Herausforderungen viel glücklicher machen als Dinge, die uns in den Schoß fallen.“
„Das Leben ist ein Selbstbedienungsladen!“ Diese Einstellung wird leider kräftig genährt. Von einem System, das jedes Bedürfnis mit Waren zu befriedigen vorgibt. Die, die verkaufen, mag das glücklich machen. Die, die konsumieren, nicht. „Grenzenloses Konsumieren führt zu einer nicht endenden Sucht nach mehr,“ sagt Dr. Wardetzki. „Man füttert sich laufend mit etwas, das einen nicht satt macht. In unserem Wahn, jedes Bedürfnis sofort zu stillen, bringen wir uns um die Chance, zu finden, was uns wirklich satt macht. Wachsen können wir nur, wenn wir an Grenzen stoßen, uns engagieren. Schmerz, Anstrengungen und Unbequemes aushalten.“
Oft zeigt sich im Nachhinein, daß das, was als Unglück empfunden wurde, gar keines war, sondern ein wichtiger Schritt.

Lektion Vier: Manchmal ist es besser, wenn es keine Rosen regnet. Man könnte sich ernsthaft an den Stacheln verletzen.
Doch nicht alle Enttäuschungen sind hausgemacht. „Nicht alles, was unzufrieden macht, geht auf persönliches Versagen oder Irrtümer zurück,“ sagt der Konstanzer Kultur- und Mediensoziologe Professor Hans-Georg Soeffner. „Es gibt gesellschaftliche Entwicklungen. von denen wir zwar profitieren, die unseren Gefühlshaushalt aber dennoch stark belasten." Dazu zählen vor allem die unklare Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen, die Konzentration auf ein Kind und die hohe Mobilität.
„Als Folge der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen muß auch die Arbeit zu Hause und in der Familie neu aufgeteilt werden,“ sagt Professor Soeffner. „Das ist anstrengend und nährt die Unzufriedenheit, weil uns Vorbilder fehlen und weil ständig neu ausgehandelt werden muß, wer wann welche Aufgaben übernimmt. Dazu kommt, das es durch jeweils unterschiedliche Arbeits- und Freundeskreise weniger Berührungspunkte zwischen den Partnern gibt. Und das die emotionale Konzentration auf ein Kind zu Spannungen und Konkurrenzkämpfen zwischen den Eltern führen kann.“
Die zunehmende Erwerbstätigkeit der Mütter ist ein wichtiger Schritt. Dennoch darf nicht geleugnet werden, das sie auch Belastungen mit sich bringt. Vielleicht ist die Unzufriedenheit und Überforderung vieler Mütter genau mit dieser schmerzlichen Erkenntnis verknüpft.
Was Partnerschaften außerdem anfällig macht, ist das moderne Ideal der Liebesehe: „Liebe und Leidenschaft sind nicht gerade die stabilsten Grundpfeiler für eine dauerhafte Bindung,“ sagt Professor Soeffer. Wenn nur Gefühle zählen, wird jeder Konflikt, jedes Nachlassen des sexuellen Verlangens ängstlich beobachtet und kritisch interpretiert. Beziehungen, die auch auf Vernunft und Absicherung zielen, sind haltbarer als Beziehungen, die Leidenschaft und Glück bringen sollen. Was natürlich nicht bedeutet, daß sie besser sind.“ Ein dritter Faktor, von dem Menschen profitieren und an dem sie gleichzeitig häufig leiden, ist die wachsende Mobilität. Wer mobil ist, nimmt häufig Abschied, löst sich von alten Freunden und Bekannten.
„Unsere Bindungen haben abgenommen,“ sagt der Konstanzer Soziologie- Professor. „Alte Gemeinschaftsträger wie Kirche, Vereine oder Wohltätigkeitsgruppierungen haben an Bedeutung verloren, und das macht labil. Es gibt einige Untersuchungen, die zeigen, daß die Zugehörigkeit zu anderen Menschen und Gruppen belastbarer und ausgeglichener macht.“
An den Liebesidealen, der Arbeitsteilung und der wachsenden Mobilität wird sich auch in Zukunft nichts ändern und das sollte es auch gar nicht. „In ihrem Anpassungswillen werden die Menschen einen Weg finden, um mit den modernen Anforderungen besser zurechtzukommen,“ vermutet Professor Soeffner. „Die wachsende Arbeitsteilung wird sich einspielen. Männer und Frauen werden in Zukunft mehr als heute akzeptieren, daß sie einen Preis dafür bezahlen. Die Zahl der Ehescheidungen nimmt vermutlich noch etwas zu. Aber die ewig totgesagte Familie wird weiter leben.“




Nach einem Artikel in der Zeitschrift „Eltern“ (7/00) und eigene Gedanken.

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