Zur Fragwürdigkeit von Faustregeln Dipl.-Psych. Ursula Ofuatey-Kodjoe, Freiburg i. Br.
Auszüge:
Für die Bereitstellung optimaler Entwicklungsbedingungen brauchen Kinder von Beginn ihres Lebens an:
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Eine für das Kind erfahrbare positive Elternbeziehung: Das verlangt von beiden Eltern eine gegenseitige Haltung von Respekt und Höflichkeit vor dem anderen - auch nach der Trennung als Paar. Eine »positive Repräsentation« des anderen Elternteils von beiden Eltern ist notwendig, um das Bild des Kindes und damit seine eigene Identität nicht zu gefährden. Wer den ehemaligen Partner abwertet, wertet dessen Teil im eigenen Kind ab. Auch wenn sich die Eltern dessen nicht bewusst sind, die Kinder wissen und spüren es. Ihr Selbstwertgefühl erleidet empfindliche Einbussen.
Die Ausgrenzung des Vaters gerade in der konfliktreichen Entwicklungszeit des 2. und 3. Lebensjahres kann sich auf die zukünftigen Beziehungen des Kindes fatal auswirken.
Ausgrenzende Mehrelternfamilien (früher: Stieffamilien) zerbrechen nach den jüngsten Forschungserkenntnissen doppelt so häufig wie Mehrelternfamilien, die den biologischen Elternteil miteinbeziehen. Die Kinder zeigen signifikant mehr Verhaltensstörungen und als junge Erwachsene Probleme in der Lebensbewältigung (Figdor 1981).
Bei der konkreten Gestaltung des Umgangs ist ein kritischer Faktor der Übergang von einem Elternteil zum anderen. Das Kind muss die Mutter verlassen, um mit dem Vater zu gehen und es muss den Vater verlassen, um zur Mutter zurückgebracht zu werden. Jeder dieser, Abschiede kann mit Verlust- und Verlassenheitsängsten verbunden sein. Diese Ängste werden häufig zur »Angst vor dem Vater« uminterpretiert und zur Begründung für Umgangsbeschneidung oder -aussetzung herangezogen: eine Praxis, die die Verlassenheitsängste bestätigt und den Verlust nahezu »gesetzlich herbeiführt«.
Hier sind Einfühlungsvermögen und Phantasie der Eltern gefordert: Wenn der ankommende Vater eine Weile mit dem Kind in Anwesenheit der Mutter zusammen spielt, sich die Mutter dann langsam zurückzieht, sich quasi »uninteresant macht«, dann ist das Kind eher bereit, sich dem Vater neugierig zuzuwenden.
Ein Kind, das zur Abholung bereits vor die Tür gestellt wird, da die Präsenz des anderen Elternteils in der Wohnung für unzumutbar erklärt wird, lernt dagegen zweierlei:
Die Tatsache, dass zwischen den Eltern etwas nicht stimmt, bedeutet in seiner ich-zentrierten Weltsicht dass mit ihm selbst etwas nicht stimmt
und zweitens, dass es nicht gut ist, beide lieb zu haben und mit ihnen zusammen sein zu wollen.
Das Kindeswohl gerade kleiner Kinder zu wahren, ist ein anspruchsvolles Ziel. Es sind immer die Eltern, die dafür die Bedingungen schaffen und sie haben ein Anrecht darauf, umfassend beraten und unterstützt zu werden.
Die alten Faustregeln müssen sehr kritisch hinterfragt werden, viele halten den neuen Erkenntnissen nicht mehr stand: Je jünger ein Kind ist, desto häufiger sollte es Kontakt haben zu dem Elternteil, mit dem es nicht mehr zusammenlebt. Das ergibt sich aus den Bedürfnissen dieser Entwicklungsstufe. Bis zum Schulalter sollte es ca. ein Drittel der Jahreszeit mit diesem Elternteil verbringen. Diese Zeit wird als Voraussetzung dafür betrachtet, dass eine Eltern-Kind-Beziehung wirklich gelebt werden und sich weiterentwickeln kann.