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Dieses Thema hat 1 Antworten
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 Archiv Psychotanten
niemand ( gelöscht )
Beiträge:

30.04.2002 01:43
RE: Und so bin ich, leider Thread geschlossen

>Die schizoiden Persönlichkeiten
>»Auf, laß uns anders werden als die Vielen,
>die da wimmeln in dem allgemeinen Haufen.«

>(Spitteler)
>
>Wir wollen uns nun den Persönlichkeiten zuwenden, deren grundlegendes Problem – von der Seite der Angst her gesehen – die Angst vor der Hingabe ist und die zugleich – von der Seite der Grundimpulse her betrachtet – den Impuls zur »Eigendrehung«, das hieße psychologisch also: zur Selbstbewahrung und Ich-Abgrenzung, überwertig leben. Wir nennen sie die schizoiden Menschen.
>Wir alle haben den Wunsch, ein unverwechselbares Individuum zu sein. Wie sehr,.merken wir etwa daran, wie empfindlich wir reagieren, wenn jemand unseren Namen verwechselt oder entstellt: wir wollen nicht beliebig austauschbar sein; wir wollen das Bewußtsein unserer Einmaligkeit als Individuum haben. Das Bestreben, uns von anderen zu unterscheiden, ist uns ebenso mitgegeben wie das dazu gegensätzliche, als soziale Wesen zu Gruppen oder Kollektiven dazuzugehören. Wir wollen sowohl unseren persönlichen Interessen leben dürfen, als wir auch in partnerschaftlicher Verbundenheit und mitmenschlicher Bezogenheit und Verantwortung stehen möchten. Wie wird es sich nun auswirken, wenn ein Mensch, die Hingabeseite vermeidend, vorwiegend die Selbstbewahrung zu leben versucht?
>Sein Streben wird vor allem dahin gehen, so unabhängig und autark wie möglich zu werden. Auf niemanden angewiesen zu sein, niemanden zu brauchen, niemandem verpflichtet zu sein, ist ihm entscheidend wichtig. Deshalb distanziert er sich von den Mitmenschen, braucht er Abstand zu ihnen, läßt er sie sich nicht zu nahe kommen, läßt er sich nur begrenzt mit ihnen ein. Wird diese Distanz überschritten, empfindet er das als Bedrohung seines Lebensraumes, als Gefährdung seines Unabhängigkeitsbedürfnisses, seiner Integrität, und wehrt sich schroff dagegen. So entwickelt er die für ihn typische Angst vor mitmenschlicher Nähe. Nun läßt sich aber Nähe im Leben nicht vermeiden, und daher sucht er nach Schutzhaltungen, hinter denen er sich gegen sie abschirmen kann.
>Er wird dann vor allem persönlichnahe Kontakte vermeiden, niemanden im Intimen an sich heranlassen. Er scheut Begegnungen mit einem Einzelnen, einem Partner, und versucht, menschliche Beziehungen zu versachlichen. Wenn er sich unter Menschen be[21]gibt, fühlt er sich am wohlsten in Gruppen oder Kollektiven, wo er anonym bleiben kann, und doch über gemeinsame Interessen ein Dazugehören erlebt. Am liebsten hätte er die Tarnkappe des Märchens verfügbar, unter deren Schutz er unerkannt am Leben der anderen teilnehmen und in es eingreifen könnte, ohne etwas von sich preisgeben zu müssen.
>Auf die Umwelt wirken solche Menschen fern, kühl, distanziert, schwer ansprechbar, unpersönlich bis kalt. Oft erscheinen sie seltsam, absonderlich, in ihren Reaktionen unverständlich oder befremdend. Man kann sie lange kennen, ohne sie wirklich zu kennen. Hat man heute zu ihnen scheinbar einen guten Kontakt gehabt, verhalten sie sich morgen so, als hätten sie uns nie gesehen; ja, je näher sie uns gerade gekommen waren, um so schroffer wenden sie sich plötzlich von uns ab, uneinfühlbar, oft mit grundlos erscheinender Aggression oder Feindseligkeit, die verletzend für uns ist.
>Das Vermeiden jeder vertrauten Nähe aus Angst vor dem Du, vor sich öffnender Hingabe, läßt den schizoiden Menschen mehr und mehr isoliert und einsam werden. Seine Angst vor der Nähe wird besonders da konstelliert, wo jemand ihm oder wo er jemandem zu nahe kommt. Da Gefühle der Zuneigung, der Sympathie, der Zärtlichkeit und Liebe uns einander am nächsten kommen lassen, erlebt er sie als besonders gefährlich. Das erklärt, warum er gerade in solchen Situationen abweisend, ja feindlich wird, den anderen abrupt zurückstößt: Er schaltet plötzlich ab, bricht den Kontakt ab, zieht sich auf sich selbst zurück und ist nicht mehr zu erreichen.
>Zwischen ihm und der Umwelt klafft dadurch eine breite Kontaktlücke, die mit den Jahren immer breiter wird und ihn mehr und mehr isoliert. Das hat nun immer problematischere Folgen: Durch die Ferne zur mitmenschlichen Umwelt weiß er zu wenig von anderen; es entstehen zunehmend Lücken in der Erfahrung über sie, und daraus Unsicherheiten im mitmenschlichen Umgang. So weiß er nie recht, was im anderen vorgeht, denn das erfährt man, wenn überhaupt, ja nur in vertrauter Nähe und liebender Zuwendung. Daher ist er auf Vermuten und Wähnen angewiesen in seiner mitmenschlichen Orientierung, und deshalb wieder ZUtiefst unsicher, ob seine Eindrücke und Vorstellungen von anderen, ja schließlich sogar, ob seine Wahrnehmungen nur seine Einbildung und Projektion, oder aber Wirklichkeit sind.
>Ein Bild, das wohl Schultz-Hencke zuerst in diesem Zusammenhang gebraucht hat für die Schilderung der Weltbefindlichkeit dieser Menschen, soll das Gemeinte deutlicher machen – wir [22] haben diese Situation alle schon einmal erlebt: Wir sitzen auf dem Bahnhof in einem Zug; auf dem Nachbargleis steht ebenfalls ein Zug; plötzlich bemerken wir, daß einer der beiden Züge sich bewegt. Da die Züge heute sehr sanft und fast unmerklich anfahren, haben wir keine Erschütterung, keinen Ruck verspürt, so daß wir nur den optischen Eindruck einer Bewegung feststellen. Wir vermögen uns nun nicht gleich zu orientieren, welcher der beiden Züge fährt, bis wir an einem feststehenden Gegenstand draußen zu realisieren vermögen, daß etwa unser Zug noch steht, und der Nachbarzug sich in Bewegung gesetzt hat, oder umgekehrt.
>Dieses Bild kann uns sehr treffend die innere Situation eines schizoiden Menschen deutlich machen: Er weiß nie genau – in einem Ausmaß, das alle auch beim Gesunden mögliche Unsicherheit weit übersteigt – ob das, was er fühlt, wahrnimmt, denkt oder sich vorstellt, nur in ihm selbst existiert, oder auch draußen. Durch seinen lockeren Kontakt zur mitmenschlichen Welt fehlt ihm die Orientierungsmöglichkeit in ihr, und so schwankt er in der Beurteilung seiner Erlebnisse und Eindrücke zwischen dem Zweifel, ob er sie als Wirklichkeit hinaus verlegen kann, oder ob sie nur seine »Einbildung« sind, nur seiner Innenwelt angehören: Blickt mich der andere wirklich spöttisch an oder bilde ich mir das nur ein? War der Chef heute wirklich besonders kühl mir gegenüber, hat er etwas gegen mich, war er anders als sonst – oder meine ich das nur? Habe ich etwas Auffälliges an mir, stimmt etwas nicht an mir, oder täusche ich mich, daß mich die Leute so komisch ansehen?
>Diese Unsicherheit kann alle Schweregrade annehmen, von immer wachem Mißtrauen und krankhafter Eigenbezüglichkeit bis zu eigentlich wahnhaften Einbildungen und Wahrnehmungstäuschungen, bei denen man dann innen und außen tatsächlich verwechselt, ohne daß die Verwechslung als solche erkannt wird, weil man nun seine Projektionen für die Wirklichkeit hält. Man kann sich vorstellen, wie quälend und zutiefst beunruhigend es sein muß, wenn diese Unsicherheit ein Dauerzustand ist, vor allem, weil man ja gerade wegen des erwähnten Mangels an Nahkontakt, sie nicht korrigieren kann. Denn jemanden darüber zu befragen, ihm seine Unsicherheit und Angst mitzuteilen, würde eine vertraute Nähe voraussetzen; da man diese zu niemandem hat, glaubt man befürchten zu müssen, nicht verstanden, verlacht oder gar für verrückt gehalten zu werden.
>Voller Mißtrauen und aus ihrer tiefen Ungeborgenheit heraus, die, wie wir noch sehen werden, sowohl primär Ursache als sekundär auch Folge ihres lockeren mitmenschlichen Kontaktes ist, [23] werden schizoide Menschen zur Sicherung nun besonders stark die Funktionen und Fähigkeiten entwickeln, die ihnen zu einer besseren Orientierung in der Welt zu verhelfen versprechen: Die Wahrnehmung durch die Sinnesorgane, den erkennenden Intellekt, das Bewußtsein, die Ratio. Da sie besonders alles Emotionale, Gefühlshafte verunsichert, streben sie die von Gefühlen abgelöste »reine« Erkenntnis an, die ihnen Resultate zu liefern verspricht, auf die sie sich verlassen können. Man kann schon hier verstehen, daß sich schizoide Menschen vor allem den exakten Wissenschaften zuwenden, die ihnen diese Sicherheit und Abgelöstheit vom subjektiven Erleben vermitteln sollen.
>Gegenüber der Entwicklung dieser rationalen Seiten bleibt die des Gefühlslebens zurück; denn dafür ist man auf ein Du, auf einen Partner angewiesen, auf emotionale Bezogenheit und Gefühlsaustausch. So ist es für diese Menschen charakteristisch, daß sie, bei oft überdurchschnittlicher Intelligenzentwicklung, im Emotionalen zurückgeblieben wirken; das Gefühlshafte bleibt bei ihnen oft unterentwickelt, ja zuweilen verkümmert. Das ergibt eine breite Kontaktunsicherheit, die der Grund für unendlich viele Schwierigkeiten im Alltagsleben bei ihnen werden kann; es fehlen ihnen die »Mitteltöne« im mitmenschlichen Umgang, sie haben dafür keine Nuancen verfügbar, so daß ihnen schon einfachste Kontakte zum Problem werden können, Dafür ein Beispiel:
>Im Rahmen seiner Ausbildung sollte ein Student ein Referat halten. Kontaktlos, wie er war, zugleich »arrogant« – hinter welcher Haltung er seine Unsicherheit verbarg – kam er nicht auf den Gedanken, einen Kollegen zu fragen, wie so etwas üblicherweise gehandhabt würde. Er quälte sich allein mit Problemen herum, die nur in ihm, nicht in der Sache lagen. Er war sich völlig unsicher darüber, ob seine Ausführungen den Erwartungen entsprechen würden, schwankte in ihrer Beurteilung zwischen Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühlen, indem sie ihm einmal großartig, ja einmalig-genial erschienen, dann wieder als völlig banal und ungenügend. Es fehlten ihm eben die Vergleiche mit den Referaten anderer. Er meinte, es sei vor den Kollegen peinlich und er würde sich etwas vergeben, wenn er sie um Rat gefragt hätte – er wußte nicht, daß so etwas durchaus üblich war. So hatte er wegen seiner Unbezogenheit ganz überflüssige und Überwertige Angste, die er sich weitgehend hätte ersparen können, wäre er in natürlichem, kollegialem Kontakt gestanden.
>Solche und ähnliche Situationen und Verhaltensweisen häufen sich im Leben schizoider Menschen; sie tragen viel dazu bei, ihnen [24] schon banale und alltägliche Situationen ungemein zu erschweren; sie realisieren nicht, daß ihre Schwierigkeiten auf der Kontaktebene liegen und nicht in einem Mangel an Fähigkeiten.
>
>Der schizoide Mensch und die Liebe
>Wie schon gesagt, werden dem schizoiden Menschen besonders die Entwicklungsschritte zum Problem, bei denen es um mitmenschlichen Kontakt geht: Der Eintritt in den Kindergarten, in die Klassengemeinschaft; die Pubertät und die Begegnung mit dem anderen Geschlecht; die partnerschaftlichen Beziehungen und alle Bindungen. Da bei ihm jede Nähe Angst auslöst, muß er sich um so mehr zurücknehmen, je näher er jemandem kommt, je mehr er vor allem in die Gefahr des Liebens oder des Geliebtwerdens kommt, das er sich nur als ein Sichausliefern und Abhängigwerden vorstellen kann.
>In der Kindheit auftretende Schwierigkeiten im mitmenschlichen Kontakt sollten von Eltern und Erziehern als beginnende schizoide Problematik erkannt werden, die vielleicht noch aufzufangen oder doch gemildert werden kann, bevor sie sich tiefer eingespurt hat: Wenn ein Kind Kontaktschwierigkeiten im Kindergarten oder in der Klasse hat; wenn es keinen Freund findet; wenn es sich als Außenseiter und Einzelgänger erlebt oder von anderen so erlebt wird; wenn ein junger Mensch um die Pubertät herum Beziehungen zum anderen Geschlecht meidet, sich statt dessen in Bücher vergräbt, Kontakten aus dem Weg geht, Basteleien oder sonstige Dinge tut, bei denen er immer allein ist; wenn er schwere weltanschauliche Krisen in dieser Zeit durchmacht, mit einsamen Grübeleien über den Sinn des Lebens, ohne sich mit anderen darüber auszutauschen – all das sind Alarmzeichen, die man verstehen, bei denen sich die Eltern beraten lassen sollten.
>Noch problematischer pflegt für schizoide Persönlichkeiten die Zeit der zur Partnerschaft drängenden Nachpubertät zu werden. Denn in der Liebe kommen wir einander am nächsten, seelisch und körperlich. In jeder liebenden Begegnung ist unser Eigen-Sein und unsere Unabhängigkeit gleichsam gefährdet, um so mehr, je mehr wir uns dem Du öffnen, um so mehr aber auch, je mehr wir uns selbst bewahren wollen. Daher werden diese Begegnungen oft zu den Klippen, an denen ihnen ihre Problematik, die bisher viel [25] leicht noch unbewußt, ihnen selbst verborgen war, nun schmerzlich bewußt wird. Wie soll ein solcher Mensch die nun wachsende Sehnsucht nach Nähe und Austausch, nach Zärtlichkeit und Liebe, wie soll er vor allem das aufkommende sexuelle Begehren an einen anderen herantragen? Auf Grund der beschriebenen Kontaktlücken und der fehlenden »Mitteltöne« im mitmenschlichen Umgang, die sich bis zu diesem Alter bereits zu einer weitgehenden Ungeübtheit im Verkehr mit Menschen ausgewachsen haben, ist für ihn das Integrieren der Sexualität besonders schwierig. Ihm fehlen die Zwischentöne des Sich-Verhaltens auch hier: Ihm steht weder die werbenderobernde, noch die verführend hingebende Seite zur Verfügung. Zärtlichkeit, verbaler oder emotionaler Ausdruck von Zuneigung, sind ihm fremd, und ihm fehlt auch weitgehend die Einfühlung, das Sich-in-einen-anderen-versetzen- Können.
>Die Lösungsversuche des Konfliktes zwischen dem drängenden Begehren und der Angst vor mitmenschlicher Nähe können verschieden aussehen, Häufig so, daß er sich nur auf unverbindliche, leicht zu lösende, oder auf rein sexuelle Beziehungen einläßt, in denen er die Sexualität von seinem Gefühlserleben gleichsam abspaltet. Der Partner ist für ihn dann nur noch »Sexualobjekt«, das der Befriedigung seiner Sinne dient, darüber hinaus nicht mehr interessiert. Aber auch wegen der emotionalen Unbeteiligtheit sind seine partnerschaftlichen Beziehungen leicht austauschbar. So schützt er sich davor, daß, bei tieferem Sicheinlassen mit dem Du, seine ganze Unbeholfenheit und Unerfahrenheit in Gefühlsdingen offenbar würde, zugleich auch vor der Gefahr des Liebens. Aus dem gleichen Grund pflegt er auch Zeichen der Zuneigung von seiten des Partners abzuwehren – er weiß nicht, wie er sie beantworten soll, sie sind ihm eher peinlich.
>Ein Mann ging auf ein Ehevermittlungsbüro und suchte sich nach den ihm vorgelegten Fotografien die Frau aus, die ihm am wenigsten gefiel – sie konnte ihm wenigstens nicht gefährlich werden, konnte keine Liebesgefühle in ihm auslösen.
>Eine Frau konnte sich einem Mann nur dann körperlich hingeben, wenn sie wußte, daß sie ihn danach wahrscheinlich nie wieder sehen würde.
>Ein verheirateter Mann hatte in der gleichen Stadt, in der er mit seiner Familie wohnte, noch eine geheime Wohnung; in Abständen zog er sich in diese zurück, war dann für jedermann unerreichbar, bis er wieder die Neigung fühlte, zu seiner Familie zu gehen. Er brauchte das, um sich vor zuviel Nähe und dem Gefühls[26]anspruch seiner Frau und seiner Familie abzuschirmen (die ihrerseits gerade wegen diesem Sichentziehen ihn fester zu binden versuchten, damit nun wieder sein Bedürfnis nach seiner Zuflucht verstärkten).

>Aus den Beispielen läßt sich ersehen, wie groß die Angst schizoider Menschen ist, sich zu binden, sich festzulegen, abhängig oder überrannt zu werden; nur so lassen sich ihre oft seltsam und unverständlich anmutenden Reaktionen begreifen. Das einzige, was dem schizoiden Menschen wirklich gehört und ihm einigermaßen vertraut ist, ist er selbst; daher seine Empfindlichkeit gegen wirkliche oder vermeintliche Gefährdung seiner Integrität, gegen Übergriffe und ihn überfremdende Einbrüche in seine Distanz, die er braucht, um seinen Halt an sich selbst nicht zu verlieren. Natürlich läßt solches Verhalten eine Atmosphäre von Vertrautheit oder gar Innigkeit gar nicht aufkommen. Aus seinem Lebensgefühl heraus empfindet er Bindungen als Zwang, zu viel von sich aufgeben zu müssen, was natürlich vor allem bei Partnern möglich wird, die viel Zuwendung und Nähe des anderen brauchen. Die Bindungsscheu kann soweit gehen, daß er noch vor dem Traualtar oder dem Standesamt umkehrt.
>Ein junger Mann verlobte sich auf das Drängen seiner Freundin sie kannten sich schon seit Jahren, er wollte sich aber nicht binden. Er kam mit den Ringen zu ihr und sie feierten zusammen die Verlobung. Als er ihr Haus verließ, warf er einen bereits vorher geschriebenen Brief in ihren Briefkasten, der die eben geschlossene Verlobung wieder aufhob.
>Ähnliche Verhaltensweisen sind bei schizoiden Menschen gar nicht selten. Oft sind sie aus der Ferne gute und zugewandte Briefschreiber, nehmen sich aber im persönlichen Nahkontakt sofort wieder zurück und verschließen sich.
>Durch die erwähnte Abspaltung der Sexualität vom Gefühlsleben wird das Triebhafte gleichsam isoliert gelebt; der Partner wird dadurch nicht nur zum »Sexualobjekt«, sondern das ganze Liebesleben kann sich in einem nur noch funktionellen Vorgang erschöpfen. Er kennt dann kein zärtliches Vorspiel, keine Erotik, sondern geht unbekümmert um die Bedürfnisse des Partners direkt auf sein Ziel los. Zärtlichkeit artet leicht in dem Partner Wehtun aus, in harten Zugriff oder sonstiges Zufügen von Schmerzen. Dahinter kann unbewußt der Wunsch nach einer spürbaren Reaktion des Partners stehen. Weiterhin besteht die Neigung, den Partner nach der erreichten Befriedigung baldmöglichst wieder loszuwerden. »Nachher« – gemeint war der Geschlechtsakt – [27] »hätte ich sie am liebsten hinausgeworfen« war der charakteristische Ausspruch eines schizoiden Mannes, der seine Angst vor den Gefühlsansprüchen der Partnerin zeigt.
>Schwieriger wird es, wenn der Schizoide die schroffe Ambivalenz zwischen Liebes und Haßgefühlen, seinen tiefen Zweifel in das Geliebtwerdenkönnen, am Partner austrägt. Dann setzt er diesen immer neuen Bewährungsproben aus, fordert von ihm immer neue Liebesbeweise, die seinen Zweifel beheben sollen. Das kann sich bis zum seelischen und zum eigentlichen Sadismus steigern. Sein Verhalten kann dann ausgesprochen destruktiv werden; Liebesbeweise und Zeichen der Zuneigung des Partners werden abgewertet, bagatellisiert, analysiert, angezweifelt oder in diabolisch geschickter Weise als Tendenz umgedeutet. So wird etwa eine spontane Zuwendung des Partners als Ausdruck eines schlechten Gewissens, von Schuldgefühlen oder als Bestechungsversuch (»was willst du damit erreichen?«; »du hast wohl etwas gutzumachen?«) gedeutet. Die meist vorhandene gute theoretischabstrakte psychologische Kombinationsgabe bietet unendliche Möglichkeiten für solche tendenziösen Umdeutungen. In dem Roman »Das Ruhekissen« hat Christiane Rochefort eine solche Beziehung ausgezeichnet geschildert, besonders überzeugend auch dargestellt, wie eine liebesfähige Frau durch den schizoiden Partner mit der Zeit an ihre Toleranzgrenze gebracht wird.
>Nicht selten zerstört der schizoide Partner auch alle zärtlichen Regungen bei sich und dem Partner durch Zynismus, um sich von ihnen nicht erfassen zu lassen. In einem Augenblick besonders inniger Zuwendung des Partners, trifft er diesen seelisch an seiner verletzlichsten Stelle, indem er seine Haltung, seinen Gesichtsausdruck oder seine Worte ironisierend ins Lächerliche zieht: »Mach doch nicht so hündisch treue Augen«; »wenn du wüßtest, wie komisch du eben ausgesehen hast«; oder: »laß doch diese albernen Liebesbeteuerungen und kommen wir endlich zur Sache« usf.
>Natürlich wird so im Partner systematisch alle Liebesbereitschaft zerstört, es sei denn, daß er eine ungewöhnliche Liebesfähigkeit hat, oder der masochistische Gegentypus ist, der aus Schuldgefühlen, aus Verlustangst oder anderer Motivierung glaubt, das alles mit in Kauf nehmen zu müssen, oder Lust am Gequältwerden empfindet. Sonst muß er sich schließlich zurücknehmen oder zu hassen beginnen, was dann von dem schizoiden Partner mit einem Triumphgefühl erlebt werden kann (»jetzt kommt dein wahres Wesen zum Vorschein«), ohne zu realisieren, wie weit er den anderen durch sein Verhalten erst soweit gebracht [28] hat. Die autobiographischen Romane Strindbergs enthalten viel von solcher schizoiden Tragik, bringen zugleich eindrucksvolle Beschreibungen der lebensgeschichtlichen Hintergründe solcher Persönlichkeitsentwicklungen (z. B. »Der Sohn einer Magd«). Auch Axel Borg, die Hauptgestalt seines Romanes »Am offenen Meer«, ist ein glänzend geschilderter schizoider Mensch, mit deutlich autobiographischen Zügen.
>Ist die Gefühlskälte noch weiter fortgeschritten, steigert sie sich ins Extreme und Krankhafte, kann die Grenze zu Vergewaltigungen bis zum Lustmord schmal sein, vor allem, wenn auf den Partner unverarbeitete Haßgefühle und Rachehaltungen unbewußt projiziert, »übertragen« werden, wie die Psychoanalyse es nennt, die ursprünglich den ehemaligen Bezugspersonen der Kindheit gegolten haben. Eine nicht in das Persönlichkeitsganze integrierte, abgespaltene Triebseite ist indessen immer gefährlich; kommt dazu die weitgehende Unfähigkeit, sich in den Partner einzufühlen und die Gefühlsverkümmerung, sind alle Triebverbrechen denkbar.
>Aus der Schwierigkeit, mit einem Partner eine Gefühlsverbindung einzugehen, ja überhaupt einen Partner zu finden, suchen Schizoide auch oft, allein auszukommen, gleichsam sich selbst zum Partner zu nehmen in ausschließlicher Selbstbefriedigung. Oder sie weichen auf Ersatzobjekte aus, wie es etwa beim Fetischismus der Fall ist. Natürlich kann sich an solchen Ersatzobjekten ihre Liebesfähigkeit nicht entwickeln, obwohl auch diese Formen gestörter Liebesfähigkeit noch Elemente des Liebenwollens enthalten, noch Ausdruck ihrer suchenden Sehnsucht sind.
>Man findet bei schizoiden Menschen nicht selten eine infantil gebliebene Sexualentwicklung auch bei sonst hochdifferenzierten Persönlichkeiten. Die manchmal anzutreffende Wahl geschlechtlich unreifer Kinder oder Jugendlicher als Sexualpartner, läßt sich daraus verstehen, daß der schwer Kontaktgestörte diesen gegenüber weniger Angst hat und mit dem kindlichen Zutrauen rechnen kann.
>Manchmal kommt bei ihm die unterdrückte Liebesfähigkeit und Hingabesehnsucht als extreme Eifersucht bis zum Eifersuchtswahn zum Durchbruch. Er spürt, wie wenig liebenswert er sich verhält, wie wenig liebesfähig er ist, und ahnt, daß er so kaum jemanden halten kann. Daher muß er überall Rivalen wittern, die er – oft mit Recht – für bessere Liebende und für liebenswerter hält. Harmlose, ganz natürliche Verhaltensweisen des Partners, werden dann von ihm voller Spitzfindigkeit und Haarspalterei ins Hintergründige, Absichtliche und Dämonische umgedeutet. Das [29] kann sich bis zum Beziehungswahn steigern, die Partnerschaft mit der Zeit unerträglich werden lassen und sie schließlich zerstören, mit einer Lust am Zerstören, unter der er selbst leidet, sich aber nicht anders verhalten kann, Die Motivierung kann dann so aussehen: wenn es schon nicht möglich scheint, daß ich geliebt werden kann, zerstöre ich lieber selbst, was ich doch nicht halten kann dann bin ich wenigstens der Handelnde und nicht nur der Erleidende. So kann man Verhaltensweisen verstehen, daß er gerade da, wo er lieben und geliebt werden möchte, sich besonders wenig liebenswert gibt. Wendet sich dann der Partner von ihm ab, ist ihm das weniger schmerzlich, als wenn er sich wirklich um ihn bemüht hätte, und dennoch verlassen würde. Solche Enttäuschungsprophylaxe ist bei schizoiden Menschen nicht selten; sie enthält – meist unbewußt – zugleich den Aspekt einer Bewährungsprobe für den Partner: Wenn er mich trotz meines Verhaltens noch liebt, liebt er mich wirklich. Überall läßt sich dahinter erkennen, wie schwer es solchen Menschen ist, sich für liebenswert zu halten. In Extremfällen kann das Mißtrauen und die Eifersucht bis zum Mord führen: Wenn der Partner mich nicht liebt, soll er auch keinen anderen lieben können.
>Bewußt wird die Hingabeangst von schizoiden Menschen meist nur als Bindungsangst erlebt. Die Sehnsucht nach Hingabe, die ja auch zu unserem Wesen gehört, staut sich durch die Unterdrükkung auf und verstärkt die Angst, so daß Hingabe dann nur noch als völliges Sichausliefern, als Ich-Aufgabe und Verschlungenwerden vom Du vorgestellt werden kann. Dadurch kommt es zu einer Dämonisierung des Partners, die nun rückwirkend wieder die Angst verstärkt, und manche sonst unverständliche Verhaltensweisen schizoider Menschen verständlicher macht, vor allem ihren plötzlichen Haß, der aus dem Gefühl der Bedrohtheit durch ein übermächtiges Du entsteht, ohne daß sie erkennen, daß ihre eigene Projektion dem anderen erst solche Macht verleiht.
>So fällt es dem schizoiden Menschen schwer, eine dauerhafte Gefühlsbeziehung zu wagen, Er neigt mehr zu kurzfristigen, intensiven, aber wechselnden Beziehungen. Die Ehe ist für ihn eine Institution mit allen Unvollkommenheiten menschlicher Einrichtungen, daher selbstverständlich auflösbar, wenn sie nicht mehr als befriedigend erlebt wird. Sie sollte den menschlichen Bedürfnissen mehr Rechnung tragen, und an sie angepaßt werden. Untreue ist seiner Meinung nach in einer Dauerbeziehung unvermeidlich; er fordert für sich Freiheit und ist – das allerdings mehr theoretisch und nicht immer so selbstverständlich in der Realität bereit, sie auch dem Partner zuzugestehen. Oft ist er ein [30] Theoretiker der Ehe, ein Ehereformer; zumindest wagt er es, gegen Konventionen und Traditionen seinen eigenen Lebensstil durchzusetzen und nach seiner Uberzeugung zu leben. Darin zeigt er oft mehr Ehrlichkeit und Zivilcourage als viele andere. Manchmal hat er durchaus dauerhafte Beziehungen, schreckt nur vor deren Legalisierung zurück, weshalb es bei ihm häufiger zu eheähnlichen Bindungen kommt ohne Heirat. Bei frühem Ausfall einer Mutterbeziehung oder nach Enttäuschungen an der Mutter, findet man nicht selten Bindungen an ältere, mütterliche Frauen; diese können ihn vieles nachholen lassen, was er als Kind entbehren mußte. Solche Frauen vermögen manchmal Wärme und Geborgenheit zu geben ohne große eigene Ansprüche; es sind schenkende Frauen, die ein unmittelbares Verständnis für seine Situation haben, von ihm nicht erwarten, was er nicht geben kann, und ihn gerade dadurch mehr binden, als er es sonst zulassen könnte. Nur die tiefer Gestörten mit entsprechenden Früherfahrungen entwickeln einen ausgesprochenen Frauenhaß mit Racheimpulsen der Frau gegenüber. Da von dem Schizoiden in seiner Lebensgeschichte das Weibliche als unvertraut und bedrohlich erlebt wurde, finden wir bei ihm nicht selten die Hinwendung zum gleichen Geschlecht; oder sie wählen eine Partnerin, die durch quasi männliche Züge ihm nicht so »ganz anders« erscheint, wie eine sehr weibliche Frau. Die Beziehung ist dann oft eine mehr geschwisterlich-kameradschaftliche, fußt mehr auf gemeinsamen Interessen, als auf der erotischen Anziehung der Geschlechter. In allen Beziehungen erträgt er dauernde Nähe schwer – getrennte Schlafzimmer etwa sind ihm selbstverständliches Bedürfnis, und die Partnerin muß Verständnis dafür haben, will sie ihn nicht in die Abwehr und eine dann erzwungene Distanzierung treiben.
>Zusammenfassend können wir sagen, daß der schizoide Mensch aus welchen Gründen, werden wir noch besser verstehen es wohl am schwersten hat, seine Liebesfähigkeit zu entwickeln. Er ist ungemein empfindlich gegen alles, was seine Freiheit und Unabhängigkeit einzuschränken droht; er ist in der Gefühlsäußerung karg und am dankbarsten, wenn ihm der Partner eine unaufdringliche Zuneigung, ein Stück Heimat und Geborgenheit gibt. Wer ihn zu nehmen versteht, kann mit seiner tiefen Zuneigung rechnen, die er nur nicht recht zeigen und zugeben kann.[31]
>
>Der schizoide Mensch und die Aggression
>Hier und in den folgenden Abschnitten über die Aggression habe ich es vorgezogen, von Aggression statt von Haß zu sprechen, weil Aggression die häufigste Ausdrucksform des Hasses ist und in ihren verschiedenen Erscheinungsformen einleuchtender zu beschreiben ist. Angst und Aggression hängen eng zusammen; wahrscheinlich lösen ursprünglich Unlust und Angst erst die Aggression aus, wobei Unlust wohl die Vorform, die archaische Form der Angst in unserer Frühzeit ist. In dieser haben wir die späteren Möglichkeiten der Unlustverarbeitung und Angstüberwindung noch nicht zur Verfügung, sondern sind der Unlust und Angst hilflos ausgeliefert. Was sie in der Frühzeit auslöst, sind intensive Frustrationen wie Hunger, Kälte, Schmerzen; Störungen des Eigenrhythmus und der Integrität des Lebensraumes; Überbelastungen der Sinnesorgane und Einschränkung der Bewegungsfreiheit; Uberfremdung des EigenSeins durch zuviel überrennende Nähe und Eingriffe anderer; Einsamkeit. Angst ist in dieser Zeit also vor allem intensive Unlust; in jenen Situationen fallen beim Kleinstkind Angst und Aggression zeitlich praktisch noch zusammen: was Unlust und Angst auslöst, löst gleichzeitig Aggression, Wut aus.
>Was hat das Kleinstkind nun für die Angstbewältigung und für die Abfuhr von Unlust zur Verfügung? Zunächst nur ohnmächtige Wut, die sich im Schreien, später im Strampeln und Umsichschlagen, also in motorischer Entladung und Abreaktion äußert. Da es in der Frühstzeit noch keine Unterscheidung von Ich und Du gibt, sind diese Aggressionsäußerungen noch ganz ungerichtet, auf niemanden bezogen – sie sind einfach Abreaktionen von Unbehagen und Unlust zur Entlastung der Befindlichkeit, zur Entlastung des Organismus. Wir können hier von der archaischen Form der Aggression sprechen; sie äußert sich elementar, spontan, unkontrolliert und menschlich noch unbezogen, daher rücksichtslos und ohne Schuldgefühle – diese würden ja eine mitmenschliche Bezogenheit voraussetzen.
>Die Intensität der archaischen Angst ist ungemein groß, weil sie, durch die völlige Hilflosigkeit des Kleinstkindes, von ihm als seine Existenz bedrohend erlebt wird, als Bedrohung seines gesamten Daseins. Entsprechend total wird die Aggression und die Wut erlebt – das Kind ist in solchen Situationen »ganz Wut« oder »ganz Angst«, nur noch besessen von dem Drang, sie abzureagieren, sie loszuwerden, Reflexhaftes sich Zusammenziehen, [32] sich Zurücknehmen von der Welt, oder der beschriebene Bewegungssturm sind wohl die beiden Urformen der Reaktion auf Angst und Unlust auch bei anderen Lebewesen: die Flucht nach hinten, das sich Zurücknehmen bis zum Totstellreflex, oder die Flucht nach vorn, der Bewegungssturm, der Angriff.
>Bleibt nun ein schizoider Mensch weiterhin bindungslos, erlebt er sich auch weiterhin als ungeborgen, ungeschützt, ausgesetzt und gefährdet, wird er wirkliche oder vermeintliche Angriffe und Bedrohungen weiterhin als seine gesamte Existenz gefährdend erleben. Dementsprechend sind seine Reaktionen darauf noch ganz archaisch im oben beschriebenen Sinne: sofortige rücksichtslose Aggression, die nur bedacht ist auf das Beseitigen der Angst bzw. des Angstauslösers, auf die Entlastung seiner Befindlichkeit » to get it out of one's system« sagen die Engländer sehr treffend.
>Man kann sich wohl vorstellen, wie gefährlich diese archaischen schizoiden Aggressionen werden können, die aus dem Gefühl der existenziellen Bedrohtheit bei Menschen stammen, die kaum Bindungen kennen. Sie werden bei ihnen durch nichts gehalten, gebunden, sie sind nicht integriert in ihre Gesamtpersönlichkeit. So bleiben sie elementare Triebabfuhr ohne Rück-sicht. Wie wir es schon bei der Sexualität gesehen hatten, bleibt auch ihre Aggression, bleiben ihre Affekte vom Gesamterleben isolierte, abgespaltene, rein triebhafte Abreaktion, sind nicht eingeschmolzen in ein ganzheitliches emotionales Erleben. Da es ihnen auch weitgehend an Einfühlung mangelt, sind praktisch keine bremsenden Kräfte vorhanden. So dient die Aggression weiterhin nur der Entlastung von Spannungen, wird unkontrolliert und ohne Schuldgefühle ausgelebt. Hinzu kommt, daß schizoide Menschen aus ihrer mitmenschlichen Unbezogenheit heraus keine Vorstellung von der Wirkung ihrer Affekte und Aggressionen auf andere haben sie haben sich ja »nur« abreagiert; der andere ist ihnen dabei gar nicht so wichtig gewesen. Daher sind sie oft zu scharf, verletzend und brüsk, ohne es zu wissen, In einer Tageszeitung war zu lesen, daß ein Jugendlicher einen Knaben umgebracht hatte. Auf die Frage nach seinen Motiven gab er achselzuckend zur Antwort, er hätte keine besonderen Gründe gehabt – der Junge habe ihn irgendwie gestört. So gefährlich kann eine isolierte, vom Gesamterleben abgespaltene, durch nichts gebundene Aggression werden, die aus einer Bereitschaft zum Haß kommt, die durch kleinste Anlässe ausgelöst werden kann, Sie kann sich verselbständigen und alle denkbaren Extremformen annehmen, besonders, wenn sie sich mit dem ebenfalls nicht integrierten Sexual[33]trieb verbündet. Das »Selbstporträt des Jürgen Bartsch« gibt davon ein erschütterndes Zeugnis.
>Der amerikanische Psychiater Kinzel hat an Gefangenen festgestellt, daß die Aggressiven unter ihnen (violent men) einen doppelt so großen Schutzkreis (circle of protection) hatten, wie die nicht Aggressiven. Die Aggressiven – wir würden sie unter die Schizoiden rechnen – reagierten beim Überschreiten dieses Schutzkreises, dieser unsichtbaren, imaginären Grenze durch einen anderen, mit Panik, die sofort in wilden Angriff umschlug. Ein eindrucksvolles Beispiel für schizoide Weltbefindlichkeit, die ein Patient einmal so formulierte: »Wenn man meine Distanz durchbricht, kommt Haß auf.« Man wird an die von Konrad Lorenz beschriebenen Reaktionen bei Tieren erinnert, die mit heftiger Aggression den angreifen, der ihre Reviergrenze übertritt (Konrad Lorenz: »Das sogenannte Böse«).
>Seine mitmenschliche Ungeborgenheit und Bindungslosigkeit, sowie das aus ihnen resultierende Mißtrauen, lassen den schizoiden Menschen die Annäherung eines anderen als Bedrohung erleben, die er zuerst mit Angst, der sofort die Aggression folgt, beantwortet. Dieses Lebensgrundgefühl Schizoider macht manche oft unverständlichen Reaktionen verstehbar. Eine archaische, nicht integrierte, abgespaltene Aggression kann bis zur Gewalttätigkeit gehen, die einen anderen wie ein lästiges Insekt beseitigt, wenn man sich durch ihn bedrängt fühlt. Wie alle ungebundenen, vom Gesamterleben abgespaltenen Triebe, kann sich auch die Aggression gefährlich verselbständigen und dann ins Asoziale oder Kriminelle führen.
>Aber auch abgesehen von solchen Extrembeispielen ist es für schizoide Menschen nicht leicht, ihre Aggressionen zu kontrollieren. Sie selbst leiden im allgemeinen nicht unter ihnen, um so mehr leidet aber ihre Umwelt. Was ursprünglich Angstabwehr war, kann bei ihnen zur lustvollen Aggressivität werden, die dann um ihrer selbst willen ausgeübt wird, bis zu allen möglichen Formen der Grausamkeit, des Sadismus. Schroffheit, plötzliche verletzende Schärfe, eisige Kälte und Unerreichbarkeit, Zynismus und sekundenschnelles Umschlagen von Zuwendung in feindselige Ablehnung sind ihre häufigsten Ausdrucksmöglichkeiten von Aggressionen. Ihnen fehlen auch hier die »Mitteltöne« beherrschter, gekonnter, situationsangemessener Aggression – letzteres allerdings nur von außen gesehen, denn aus ihrem Erleben heraus finden sie ihr Verhalten durchaus situationsadäquat.
>Bei schizoiden Menschen hat aber die Aggression oft noch eine andere Funktion, als die der Abwehr und des Schutzes. Im Sinne [34] der Urbedeutung des Wortes ad-gredi = an jemanden herangehen, ist sie für ihn ein Mittel, Kontakt aufzunehmen, oft das einzige, das ihm hierfür zur Verfügung steht. Aggression kann bei ihm daher eine Form der Werbung sein, die uns vergleichsweise erinnert an die noch ungekonnten Versuche der Annäherung an das andere Geschlecht, wie sie für die Pubertät charakteristisch sind. Hier wie beim Schizoiden besteht die gleiche Mischung aus Angst und Begehren, das Verbergen der Gefühle, das rauhe, aggressive Anfassen statt der nicht gewagten oder nicht gekonnten Zärtlichkeit, die Angst, sich zu blamieren, die Bereitschaft, sich sofort zurückzunehmen, das Umschlagen von Zuneigung in Abneigung und der Zynismus bei wirklichem oder vermeintlichem Abgelehntwerden.
>Es ist für den Umgang mit schizoiden Menschen wichtig, zu wissen, daß bei ihnen Aggressionen auch diese Bedeutung einer Werbung haben können. Aggressivität fällt ihnen leichter, als das Äußern von Zuneigung und anderen positiven Gefühlen. Auf Grund ihrer großen Lücken im mitmenschlichen Kontakt haben sie auch hier eine breite Unsicherheit. Aus der psychotherapeutischen Arbeit mit ihnen wissen wir, daß, wenn man ihnen in gleichmäßiger Zuwendung die Zeit dafür läßt, ihre Kontaktlücken aufzufüllen, es ihnen am ehesten möglich wird, ihre Aggressionen zu integrieren, es zu lernen, mit ihnen adäquat umzugehen.
>
>Der lebensgeschichtliche Hintergrund
>Wie kann es nun zu schizoiden Persönlichkeitsentwicklungen kommen, zu jener Überwertigen Angst vor der Hingabe und, entsprechend, zu dem Überwertigen Betonen der »Eigendrehung«, der Selbstbewahrung?
>Konstitutionell entgegenkommend ist dafür einmal eine zartsensible Anlage, eine große seelische Empfindsamkeit, Labilität und Verwundbarkeit. Als Selbstschutz legt man dann eine Distanz zwischen sich und die Umwelt, weil man zu große physische und psychische Nähe wegen der radarähnlich fein reagierenden Sensibilität und gleichsam Durchlässigkeit als zu »laut« empfindet. So ist für den Schizoiden die Distanz notwendig, damit er überhaupt der Welt und dem Leben gewachsen ist. Die Distanz schafft ihm die Sicherheit und den Schutz, nicht von anderen überfrem[35]det, überrannt zu werden; er ist von der Anlage her gleichsam ein zu offenes System, zu »hautlos«, muß sich daher abgrenzen und teilweise verschließen, um nicht von der Fülle aller aufgenommenen Reize überschwemmt zu werden.
>Die andere Möglichkeit ist die, daß eine besonders intensive motorisch-expansive, aggressiv-triebhafte Anlage vorliegt, eine geringe Bindungsneigung oder -fähigkeit, Anlagen, durch die man von früh an leichter als lästig oder störend empfunden wird. Dann macht man immer wieder die Erfahrung, daß man abgewiesen, zurechtgewiesen, in seiner Eigenart nicht bejaht und angenommen wird, und entwickelt daran das mißtrauische Sichzurücknehmen, das für diese Menschen so charakteristisch ist, zu einem typischen Wesenszug von ihnen wird.
>Nicht eigentlich zur Konstitution im eben verwendeten engeren Sinne zu rechnen, aber doch im Körperlichen liegend, zugleich aber bereits deutlicher auf die Umwelt als auslösenden Faktor weisend, wären körperliche oder sonstige Wesensmerkmale zu nennen, durch die ein Kind von Anfang an die Erwartungen und Wunschvorstellungen seiner Eltern, vor allem der Mutter, enttäuscht. Das kann schon darin liegen, daß es nicht das erwünschte Geschlecht hat, aber auch an beliebigen anderen physischen Merkmalen, die es der Mutter schwer machen, ihm die Zuwendung und Zuneigung zu geben, die es hier braucht; auch unerwünschte Kinder sind hier zu erwähnen.
>Zu diesen konstitutionellen Aspekten – bei denen aber oft die Reaktion der Umwelt darauf mehr für die schizoide Entwicklung verantwortlich zu sein pflegt, als die Anlage selbst , kommen aber nun Umweltfaktoren als wesentlichste Auslöser schizoider Persönlichkeitsentwicklungen hinzu, Um das besser verstehen zu können, müssen wir uns die Situation des Kindes nach der Geburt und in den ersten Lebenswochen vor Augen führen.
>Im Gegensatz zu anderen Lebewesen, ist das Kind nach der Geburt in einer sehr lange währenden extremen Hilflosigkeit und völligen Abhängigkeit von seiner Umgebung, Adolf Portmann hat in diesem Zusammenhang vom Menschen als einem zu früh Geborenen gesprochen.
>Damit sich das Kind allmählich vertrauend der Umwelt zuwenden und die erste Du-Findung vollziehen kann, muß ihm diese Umwelt annehmbar und vertrauenerweckend erscheinen. Annehmbar im Sinne von altersgemäß seinen Bedürfnissen entsprechend. Das Kleinstkind braucht eine Atmosphäre, die man am ehesten als Geborgenheit, sich Aufgehobenfühlen, sich Behaglichfühlen beschreiben kann, als Eingebettetsein in ihm angemessene Lebens[36]bedingungen. Diese »paradiesische« Phase selbstverständlich erfüllter Bedürfnisse sollte es erleben dürfen, weil erst aus solchem Urvertrauen es allmählich wagen kann, die Hingabe an das Leben zu riskieren, ohne die Angst, vernichtet zu werden.
>Seltsamerweise haben wir von diesen dem Kleinstkind nötigen Lebensbedingungen lange nur sehr unbestimmte Vorstellungen gehabt; meist wurde die Differenziertheit und Wahrnehmungsfähigkeit des Säuglings weit unterschätzt, die Wirkung von Außeneinflüssen auf ihn ebenfalls. Sehr eindrucksvoll dafür sind die Untersuchungen des schweizer Kinderarztes Stirnimann an Neugeborenen. Aus seinem Buch »Psychologie des neugeborenen Kindes< nur ein paar Zitate dafür: »In durchaus seriösen Büchern . . . wird die Schmerzempfindung bis zur 6. Woche für ausgeschlossen gehalten; . . . Daß dies nicht der Fall ist, beobachtete ich bei Injektionen, bei denen ich mit der Sicherheit eines Experimentes . . . voraussagen konnte, daß Neugeborene bei der zweiten Injektidn am folgenden Tage schon bei der Desinfektion weinen.« Und über das Gedächtnis: ». , , es gibt auch eine vorgeburtliche Erinnerung: Kinder von Wirtsfrauen sind nach den Beobachtungen unserer Nachtschwestern oft bis nach Mitternacht wach, ohne dabei zu schreien, während Kinder von Bäckersfrauen morgens 2 bis 3 Uhr häufig unruhig werden. Durch die Tagesarbeit und die Nachtruhe der Mutter hat sich das Kind vor der Geburt schon an den rhythmischen Wechsel zwischen Bewegung und Ruhe gewöhnt.«
>Hier ist offensichtlich noch viel zu erforschen; mit Sicherheit dürfte aber aus diesen und anderen Beobachtungen Stirnimann's hervorgehen, daß wir das Empfindungs-, Wahrnehmungs-, und Gefühlsleben des Neugeborenen weit unterschätzt haben. Sachgemäße Säuglingspflege, Ernährung und Hygiene schienen lange Zeit das Wichtigste und völlig Ausreichende für das Kleinstkind zu sein. Erst durch die sorgfältige Erforschung der frühen Kindheit, vor allem auch durch die Psychoanalyse Freud's und seiner Schüler, haben wir hier ganz neue Einsichten gewonnen, ergänzt durch die Verhaltensforschung. Wir verdanken ihnen das Wissen um die prägende Bedeutung von Ersteindrücken und Früherfahrungen, besonders auch das Wissen um die Bedeutung der ersten Lebenswochen.
>Zwar hatte schon Goethe (Gespräch mit Knebel 1810) die gleiche Erkenntnis gehabt, wenn er sagte: »Ein Grundübel bei uns ist, daß auf die erste Erziehung zu wenig gewandt wird. In dieser aber liegt größtenteils der ganze Charakter, das ganze Sein des künftigen Menschen«. Solche intuitiven Einsichten blieben aber verein[37]zelt und es wurden nicht die nötigen Folgerungen daraus gezogen.
>Heute wissen wir, daß die erste Umwelt dem Kinde neben der erwähnten unerläßlichen Säuglingspflege auch emotionale Wärme, Zuwendung, ein ihm angemessenes Maß sowohl an Reizen wie an Ruhe und eine gewisse Stabilität des Lebensraumes bieten muß, damit es sich vertrauend und aufgeschlossen antwortend zu ihr einstellen kann. Von großer Wichtigkeit ist dabei besonders, daß das Kind genügend körpernahe Zärtlichkeit erlebt.
>Erfährt das Kind dagegen in dieser Frühstzeit die Welt als unheimlich und unzuverlässig, als leer, oder aber als überrennend und überschwemmend, wird es sich von ihr zurücknehmen, abgeschreckt werden. Anstatt sich vertrauend der Welt zuzuwenden, wird es ein ganz frühes und tiefes Mißtrauen erwerben. Sowohl die Leere der Welt, die das Kind erlebt, wenn es zu oft und zu lange allein gelassen wird, als auch ein Ubermaß an Reizen und wechselnden Eindrücken, oder eine zu große Intensität der Reize, wirken schizoidisierend auf es; es wird dann bereits im ersten Ansatz seiner Weltzuwendung gestört und gleichsam auf sich selbst zurückgeworfen.
>René Spitz hat in seinen Untersuchungen an Heimkindern gezeigt, daß Kinder, die in den ersten Lebenswochen zu lange von der Mutter getrennt wurden, und so einen ganz frühen Ausfall an mütterlicher Zuwendung erlebten, schwere bis irreparable Schädigungen in ihrer Entwicklung nahmen – selbst bei bester Ernährung und einwandfreien hygienischen Bedingungen, die sie in einem Heim vorfanden, in dem 10 Kinder auf eine Kinderschwester kamen. Alle ganz früh vernachlässigten oder durch ein Reizüberangebot verschreckten Kinder, werden zumindest erhebliche Verspätungen, Einseitigkeiten, Ausfälle oder nicht altersangemessene Frühreife in ihrer Entwicklung aufweisen, weil sie die hier notwendigen Lebensbedingungen nicht oder nicht ausreichend erhielten, und dadurch altersunangemessenen Angsten ausgesetzt waren.
>Besonders leicht kommt es zu solchen frühen schizoidisierenden Schädigungen auch bei den von Anfang an ungeliebten oder unerwünschten Kindern; weiter bei solchen, die frühen Trennungen etwa durch längeren Klinikaufenthalt wegen Erkrankungen, oder dem Verlust der Mutter ausgesetzt waren, Gleiches gilt bei lieblosen oder zu gleichgültigen Müttern, bei zu jungen Müttern, die für die Mutterschaft noch nicht reif waren, gilt auch für die »goldene- Käfig-Kinder«, die oft lieblosem oder gleichgültigem »Personal« überlassen werden, weil die Mutter »keine Zeit« für sie hat; auch die Mütter, die nach der Geburt zu früh wieder arbeiten [38] und das Kind zu lange sich selbst überlassen müssen, können ihm nicht das geben, was es hier braucht.
>Neben solchem Mangel an liebender Zuwendung in der Frühstzeit als einer Quelle für schizoide Persönlichkeitsentwicklungen, ist die andere das Reizüberangebot, wie es bei den Müttern vorliegt, die das Kind nicht in Ruhe lassen und keine Einfühlung in seine Bedürfnisse haben. Das erscheint vielleicht weniger einleuchtend und soll deshalb noch näher beschrieben werden: Für die beginnende Orientierung des Kleinstkindes ist es unerläßlich, . . . daß seine Umgebung eine gewisse Stabilität aufweist, wodurch sie ihm allmählich vertraut wird, so daß es Vertrauen zu ihr fassen kann – Vertrautwerden ist die Basis des Vertrauenkönnens. Ein zu häufiger Wechsel der Bezugspersonen, ein Zuviel an Wechsel der Umgebung und an Sinneseindrücken, kann von ihm nicht verarbeitet werden (z. B. anhaltende lärmende Geräuschkulissen durch Radio und Fernsehen, helle Beleuchtung bis in die Schlafenszeit des Kindes, häufige unruhige Reisen usf.). Solche Unruhe der Umgebung und die Mütter, die gleichsam in das Kind einbrechen, sein Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein überrennen, indem sie sich zuviel mit ihm beschäftigen, es überall mit sich herumschleppen und ihm keine Möglichkeit zu seinen Eigenimpulsen lassen, bewirken ebenfalls, daß das Kind sich zurücknimmt und sich ängstlich und irritiert verschließt. Neben diesen Milieus gibt es auch solche, die das Kind früh überfordern und dadurch schizoidisierend wirken, weil sie ihm kein organisches Wachstum ermöglichen. Es sind diejenigen, in denen sich das Kind zwischen sehr schwierigen oder unreifen Erwachsenen hindurchlavieren muß, die mit ihren eigenen Schwierigkeiten bzw. mit dem Leben nicht fertig werden. Es muß dann zu früh Stimmungen erspüren und Situationen verstehen, um die an sich gespannte und zugleich labile Atmosphäre nicht noch mit sich selbst zu belasten, ja, es muß nicht selten die Elternrolle für sich selbst und die Eltern übernehmen, weil es an ihnen keinen Halt findet und sie selbst keinen in sich haben. Das ist natürlich eine grenzenlose Uberforderung für ein Kind; bevor es sich selbst gefunden hat, wird es in die Elternrolle geschoben, muß ein Verständnis für die Erwachsenen aufbringen, daß es gar nicht dazu kommt, es selbst zu sein, weil es immer nach allen Seiten denken, vermitteln, verstehen und ausgleichen muß, auf solche Weise das Leben der anderen mehr leben muß als es sein eigenes leben kann. Damit wird es nicht nur um seine Kindheit betrogen, sondern es bleibt auch sein Wesenskern unentwickelt, die Sicherheit in sich selbst, und es wird ihm zum Lebensgrundgefühl, auf brüchigem Boden zu stehen.[39]
>Stand man so in der Welt, wird man bemüht sein, sich unverletzlich zu machen wie Siegfried durch das Bad im Drachenblut, um wenigstens der Welt keine Blößen zu zeigen – es werden aber immer verwundbare Stellen übrig bleiben. Wie kann man sich unverletzlich machen? Offenbar indem man sich gefühlsmäßig nicht mehr erreichen läßt, indem man gleichsam mit einer Tarnkappe unerkannt und anonym durch die Welt geht. Man legt sich eine glatte Fassade zu, hinter die niemand blicken kann, so daß andere nie wissen, woran sie mit einem sind. Soweit dennoch Gefühle nicht vermeidbar sind, entwickelt man die Fähigkeit, sie bewußt zu steuern, zu dosieren. Man reflektiert sie also und lernt es, sie bewußt zuzulassen oder abzustellen, wird sich ihnen aber keinesfalls spontan überlassen, denn das könnte gefährlich werden Als die Freundin einer jungen Patientin dieser mitteilte, ihre Eltern hätten sich bei ihr beschwert, daß die Patientin so kalt und feindselig zu ihnen sei, sagte sie nach kurzem Überlegen: »Gut, dann werde ich meinen Haß abstellen« – woraufhin ihr Verhältnis zu den Eltern noch ferner und unbezogener wurde.
>Es sei hier angefügt, daß wir auch noch als Erwachsene eine Toleranzgrenze gegenüber Sinneseindrücken haben; es ist bekannt, daß wir, wie es in manchen Ländern bei Verhören angewendet wird, durch anhaltende Geräuschkulissen oder Lichteinwirkung, sowie durch Abgehaltenwerden vom Schlaf seelisch zermürbt werden können; lang anhaltende Einsamkeit und Dunkelheit können ähnliche Wirkungen hervorrufen, Natürlich ist die Toleranzgrenze des Kleinkindes eine viel engere.
>Von hier aus gesehen bekommt es auch eine besondere Bedeutung, ob ein Kind an der Brust oder mit der Flasche gestillt wird. Die regelmäßige Wiederkehr der Mutter und die beide beglückende Innigkeit beim Bruststillen, ermöglicht dem Kinde nicht nur das allmähliche Wiedererkennen der Person, von der ihm so verläßlich alle Bedürfnisbefriedigung kommt, sondern läßt in ihm auch die ersten Ansätze von auf einen Menschen gerichteter Hoffnung, von Dankbarkeit und Liebe entstehen. Beim Flaschenkind können immer wieder wechselnde Personen, die sich dazu noch sehr verschieden dem Kind gegenüber verhalten mögen, diesen Entwicklungsvorgang zumindest erschweren. Es ist dabei komplizierteren Lernvorgängen ausgesetzt, und wird sich schwerer so intensiv an einen Menschen gebunden fühlen, wie das Brustkind. Wenn wir für die Entstehung der Schizoidie den Mangel an Bindung als ein entscheidendes Charakteristikum erkannten, können Ansätze dazu schon hier gelegt werden durch den Ausfall der geschilderten Innigkeit zwischen Mutter und Kind.[40]
>Die Folge aller beschriebenen Störungen ist jedenfalls, daß das Kind sich von Beginn an gegen die Welt wehren und vor ihr schützen muß, oder von ihr enttäuscht wird. Wenn es draußen keinen adäquaten Partner findet, greift es auf sich selbst zurück, nimmt sich selbst zum Partner, und vollzieht den Schritt von sich weg auf das Du hin unzureichend. In der Weiterentwicklung und wenn es später keine korrigierenden Erfahrungen machen kann, entstehen daraus die oben beschriebenen Lücken, die Neigung zur Unabhängigkeit und die Egozentrizität, die Selbstbezogenheit.
>So sehen in großen Zügen die Umweltfaktoren aus, die schizoide Persönlichkeitsentwicklungen begünstigen. Wir können hier nur andeuten, daß die Generation, in deren Frühzeit der Krieg fiel, der für viele Kleinkinder ähnliche wie die oben erwähnten Umweltbedingungen bedeutete (Unruhe in den ersten Lebenswochen und darüber hinaus durch nächtliche Bombenangriffe, Flüchtlingsschicksale, Trennung der Familie, Verlust der Heimat usf.), daß diese Generation gehäuft schizoide Züge aufweist: ihre Abneigung gegen familiäre Bindungen; die Neigung zu Gruppenbildungen und Massenveranstaltungen, bei denen man sich als zugehörig erleben und doch anonym bleiben kann; und die Unverbindlichkeit in der Beziehung der Geschlechter, können hierher gerechnet werden. Das Halbstarkenproblem ist hiermit in Zusammenhang zu sehen, das auftrat, als diese Generation in die Pubertät kam. Auch mandie Züge der modernen Kunst, die durch den »Verlust der Mitte«, wie man es genannt hat, charakterisiert werden können. Schizoide Kunst wirkt am ehesten aufrüttelnd, oft ist sie aber abstoßend. Nach Fuhrmeister und Wiesenhütter (»Metamusik«) soll sich in Orchestern, die vorwiegend moderne Kompositionen aufführen, häufig das gesamte Musikerensemble nach Proben solcher Stücke krank fühlen.
>Aber auch die gesamte Umweltsituation des westlichen Menschen wirkt sich scbizoidisierend aus: die Welt gibt uns immer weniger Geborgenheit; trotz allem Komfort fühlen wir uns immer gefährdeter, und unser Lebensgefühl wird labilisiert durch die Uberfülle an Reizen, denen wir ausgesetzt sind und gegen die wir uns nur schwer abschirmen können; das Schreckgespenst möglicher Kriege und das Wissen, daß wir heute in der Lage sind, uns selbst total zu vernichten, die gefährliche Machbarkeit und Beeinflußbarkeit auch lebendiger Entwicklungen durch Technik und Naturwissenschaften, haben in uns ein Gefühl existenzieller Bedrohtheit entstehen lassen, wie wir es für die Entstehung schizoider Strukturmerkmale erkannt hatten, Als Gegenbewegung läßt sich die zunehmende Neigung zum Yoga, zu meditativen Übungen [41] bewerten, und das spürbar werdende Bedürfnis nach einer Rückbesinnung auf die Innenwelt läßt sich noch im Gebrauch der Drogen erkennen; die Hippies und Gammler wollen bewußt auf die Errungenschaften einer Technik und Zivilisation verzichten, deren unkontrollierte Herrschaft uns allen immer fragwürdiger geworden ist. Die Beherrschung der Natur, die Zeit und Raum überwindende Technik, und die Lebensbedingungen, unter denen wir unseren Existenzkampf durchführen müssen, drohen unsere gemüthaften Seiten immer mehr verkümmern zu lassen, so daß wir von einem Schizoidisierungsprozeß der westlichen Gesellschaft sprechen können.
>Mangel an altersgemäßer Geborgenheit in der frühesten Kindheit ist also gleichsam die Kurzformel für die Entwicklung schizoider Persönlichkeitsstrukturen, soweit sie mit den Umwelteinflüssen zusammenhängen. Ob und wie weit vorgeburtliche, intrauterine Einflüsse über den mütterlichen Organismus hier schon mit hereinwirken, ist noch zu wenig erforscht, wenn auch durchaus wahrscheinlich. So gibt Stirnimann in seinem schon erwähnten Buch an, daß es gelang, die Hörfähigkeit schon vor der Geburt nachzuweisen: man stellte eine schwangere Frau vor den Röntgenschirm und ließ eine Autohupe ertönen, woraufhin das Kind zusammenzuckte. Möglicherweise kann über das emotionale und affektive Erleben der Mutter, über ihre gefühlsmäßige Einstellung zur Schwangerschaft und zum Kinde, jene Ungeborgenheit bereits im Mutterleib beginnen, wenn die Mutter statt Bejahung und freudiger Erwartung – aus welchen Gründen auch immer – feindselige, ablehnende oder haßerfüllte Einstellungen zu dem werdenden Kind hat.
>
>Beispiele für schizoide Erlebnisweisen
>Ein begabter, aber sehr eigenwilliger und fast kontaktloser Musiker lebte in einer schwierigen finanziellen Situation. Von einem Bekannten bekam er eine Stellung vermittelt, die gut bezahlt war, auch im Rahmen seiner Interessen lag, und so eine entscheidende Hilfe für ihn bedeutet hätte. Am Tage, an dem er die Stelle antreten sollte, die er bereits zugesagt hatte, blieb er unentschuldigt weg und verlor die Chance. Vor sich selbst argumentierte er, der Freund habe ihm nur seine Überlegenheit zeigen und ihm seine [42] klägliche Lage vor Augen führen wollen – vielleicht habe er sogar homosexuelle Motive gehabt.
>Statt also annehmen zu können, was ihm wohlwollend angeboten worden war, bekam er Angst, abhängig zu werden und dem anderen dankbar verpflichtet sein zu müssen. Er mußte das vor sich selbst umdeuten, indem er dem Freunde fragwürdige Motive unterschob. Etwas tiefer unter dieser schwer verständlichen Haltung lag aber zugleich, daß er dem anderen eine Bewährungsprobe zumutete: Wenn er es mit seinem Helfenwollen wirklich ernst meint, und sich durch mein Verhalten nicht abschrecken läßt, wenn er mich trotzdem nicht fallen läßt, bedeute ich ihm wirklich etwas.
>Hier sieht man recht klar die Aussichtslosigkeit, aus solchem verhängnisvollen Zirkel herauszukommen und neue Erfahrungen mit Menschen zu machen: Wann ist für ihn die Garantie gegeben, daß er an eine echte Zuwendung glauben könnte? Und wer wäre andererseits bereit, sich soviel zumuten zu lassen, und sich um das Verständnis der Hintergründe solchen Verhaltens zu bemühen? Dazu ist die Welt im allgemeinen in keiner Weise geneigt.
>Dabei lag die Situation bei diesem Mann insofern noch komplizierter, als er fast gleich stark wünschte, der Bekannte möchte sich trotz seines Verhaltens weiter um ihn bemühen, wie daß er ihn fallen ließe. Im ersten Falle hätte er nämlich seine Meinung von den Menschen einmal korrigieren müssen und vertrauen können, wonach er sich sehnte. Im zweiten Falle wäre er in seiner Weltanschauung, daß die Menschen doch nicht vertrauenswürdig seien, bestärkt worden, und hätte sich weiter »berechtigt« voll Bitterkeit in seine heroische Einsamkeit und seine Menschenverachtung zuruckziehen können, was bequemer war.
>Dieser Musiker hatte häufig wechselnde Freundinnen, die er jeweils bald verließ, weil ihm bei der einen die Art wie sie sich kleidete, bei der anderen die Beine, bei einer dritten ihre Bildung usf. nicht zusagten – Rationalisierungen für seine Bindungsangst und zugleich ein Schutz davor, jemanden vielleicht doch einmal zu lieben und sich damit allen Gefährdungen auszusetzen, die »Lieben« bedeutet. Biographisch sei hier nur angedeutet, daß er ein außereheliches Kind war, das früh immer wieder zu verschiedenen Verwandten gegeben und von diesen als lästig empfunden wurde.
>Ein weiteres Beispiel für diese Persönlichkeitsstruktur: Ein Mann in mittleren Jahren erlebte sich immer wieder in quälender Form als Außenseiter. Er hatte das Gefühl, daß er nirgends wirklich dazugehörte, daß andere Menschen ihn ablehnten oder spöttisch- kritisch ansahen. Er litt darunter, es machte ihn unsicher, und seine berufliche Laufbahn drohte immer wieder daran zu [43] scheitern, daß er von anderen als Fremdkörper und als »äuBerst schwierig« empfunden wurde und nun, im typischen verhängnisvollen Zirkel, in seiner Reaktion darauf tatsächlich immer schwieriger zu behandeln war. Er wurde öfter plötzlich, scheinbar ganz unmotiviert, ausfällig, gegen Vorgesetzte verletztend ironisch, »schnitt« Arbeitskollegen grundlos, fiel in Kleidung und Lebensführung so aus dem Üblichen heraus, daß man sich immer mehr von ihm zurückzog, nichts Gemeinsames mit ihm hatte.
>Auf Grund der zunehmenden Distanz und Vereinsamung projizierte nun nicht nur er vieles auf seine Umwelt, sondern, wie es dann in regelmäßig zu findender Wechselseitigkeit zu sein pflegt, die Umwelt projizierte ihrerseits ebensoviel auf ihn, wie wir ja immer dazu neigen, auf uns fremd, ungewohnt oder unheimlich Erscheinendes eigene Probleme und nicht integrierte, unbewußte Seelenanteile zu projizieren. So wurde er mehr und mehr gleichsam zum schwarzen Schaf, zum Sündenbock des jeweiligen Kollektivs, in dem er lebte und wirkte. Da man ihn wenig wirklich kannte, war er den meisten Kollegen irgendwie unheimlich, ohne daß sie sich indessen jemals bemühten, sich über die Gründe ihrer Ablehnung klar zu werden. So bi

Dude ( gelöscht )
Beiträge:

02.05.2002 11:46
#2 RE: Und so bin ich, leider Thread geschlossen

Und Du hast allen Ernstes erwartet, dass das jemand alles liest?!?
olè

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